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Mondschatten

Leichter Wind kräuselte sanft das pechschwarze Wasser zwischen den Seerosen. Noch zwei Tage, bis sich wieder ein voller Mond im Teich spiegelte. Noch zwei Tage, bis wieder die Bestie aus den Wäldern hervor brach. Lebhaft erinnerte er sich noch der Grauen des letzten Monats. Die Qualvollen schreie des Knaben dem die Bestie beide Arme abgerissen hatte. Der zerfetzte Leib seiner Mutter, die diese vergebens mit einem Schürhaken zu vertreiben suchte. Zerrissen von einer grauenvollen Gewalt, der zur Zeit des Vollmondes niemand etwas entgegensetzen konnte. Und der Geruch nach Blut. Dieser starke, alles überlagernde Geruch nach frischem Blut, der die Bestie zu immer neuen Greueltaten trieb. Das Gebell der Hunde, die sich losrissen um der Bestie hinterherzuhetzen, als sie sich endlich zurückzog. Und die plötzliche Stille, als auch sie nichts gegen die Bestie auszurichten vermochten.

Nein, zu dieser Zeit hatte niemand etwas gegen die Bestie verrichten können. Wer überleben wollte war in wilder Panik geflohen. Die Mutigen im Dorf, und die, die einen kühlen Kopf zu bewahren verstanden, erlebten den nächsten Tag nicht mehr. Bei Vollmond war diese Bestie unbesiegbar.

Er betrachtete das Spiegelbild des fast schon runden Mondes im Wasser. Was getan werden mußte mußte jetzt getan werden. Noch war die Bestie schwach. Noch konnte sie aufgehalten werden. Und ausgerechnet er mußte es tun. Ausgerechnet ihm oblag die Abrechnung mit der Bestie.

Sein Blick fiel auf eine Seerosenblüte, die sich trotz der Nacht nicht geschlossen hatte. Als wolle sie ihn seines unverrichteten Werkes erinnern. Sanft winkte sie ihm zu im Wind: "`Vorwärts, vorwärts. Du weißt, was Du zu tun hast. Zaudere nicht länger. Die Zeit verrinnt. Die Bestie erwacht."'

Ja, er wußte was er zu tun hatte. Er wußte wie er die Bestie besiegen konnte. Dies war der einzige Weg. Und doch fiel es ihm nicht leicht. Aber er mußte es tun. Gleich hier sollte es geschehen. Noch ein mal besah er sich die dunkle Schönheit eines sternenklaren Himmels, der sich zwischen Seerosen spiegelte. Darauf flehte er zu allen Göttern, sie mögen ihm seine unheilige Tat vergeben. Sie mögen nicht auf den leblosen Körper achten, sondern auf den Grund, aus dem er dies tat.

Im Wasser verschwand das einzige Opfer, das diesen Fluch binden, ihn mitnehmen konnte. Mit diesem zog er auf Ewig die Bestie in die Tiefen des bodenlosen Moorteiches hinab. Die Bestie in ihm.


Johannes Bretscher

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